Kafka lesen: Das Schweigen der Sirenen - 私の夢はどうなったのか

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Odysseus und die Sirenen. Detail einer attischen Vase, ca. 480-470 B.C. Von Vulci.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d3/Furtwaengler1924009.jpg


[Nachgelassene Schriften und Fragmente II: [2] [„Oktavheft G“] (S. 40-42)]
Beweis dessen, daßss auch unzulängliche, ja kindische Mittel zur Rettung dienen können.
[Diese erste Zeile enthält bereits, wie oft bei Kafka, die entscheidende Aussage, deren Bedeutung sich aber erst im folgenden Text entfaltet. Die klassische Gestalt des Odysseus, des Listenreichen, des klug und überlegt handelnden Mannes, wird mit dem Hinweis auf seine geradezu kindischen Mittel radikal in Frage gestellt. Damit scheint er sich einzureihen in die Vielzahl von Protagonisten Kafkas, die alle am Ende offenbar scheitern. Gerade deshalb ist aber das Wort Rettung hier umso erstaunlicher und darf nicht übersehen werden. Dass Kafka die Möglichkeit einer Rettung erwähnt, hebt Odysseus deutlich aus der Schar der anderen Protagonisten heraus.]
[1] Um sich vor den Sirenen zu bewahren, stopfte sich Odysseus Wachs in die Ohren und liessß sich am Mast festschmieden. ÄÄÄÄAhnliches hätten natürlich seit jeher alle Reisenden tun können (aussßer jenen welche die Sirenen schon aus der Ferne verlockten) aber es war in der ganzen Welt bekannt, dassß das unmöglich helfen konnte. Der Gesang der Sirenen durchdrang alles, gar Wachs, und die Leidenschaft der Verführten hätte mehr als Ketten und Mast gesprengt. Daran nun dachte aber Odysseus nicht obwohl er davon vielleicht gehört hatte, er vertraute vollständig der Handvoll Wachs und dem Gebinde Ketten und in unschuldiger Freude über seine Mittelchen fuhr er den Sirenen entgegen.
[Der erste Absatz zerstört zunächst das traditionelle Bild des Odysseus vollständig und mit beißender Ironie. Wo liegt der Sinn, sich die Ohren zu verstopfen, wenn es darum geht den Gesang zu hören? Noch schlimmer, dass der Weitgereiste offenbar nicht weiß, was alle Welt weiß, dass das ohnehin nicht hilft. An diesem Tiefpunkt beginnt aber nun eine Wende zu einem positiven Bild des Odysseus, die man, wenn man Kafka nicht kennt, leicht überliest. Dass Odysseus „nicht daran dachte“, könnte bedeuten, dass er etwas übersehen hat, eine schon etwas abgeschwächte Kritik, die zu dem Vorigen passt. Aber, hier kommt die Wende, es kann auch Ausdruck von Selbstbewusstsein und Stärke sein im Sinne von: „Ich denke nicht daran, das zu tun.“ Noch erstaunlicher im Kontext von Kafka sind das folgende vollständige Vertrauen und die unschuldige Freude des Odysseus. Wie W. H. Sokel feststellt: „Vertrauen, Unschuld und Macht, so lautet die Dreifaltigkeit des Segens bei Kafka.“ Dass alle drei hier zumindest angedeutet werden, wenn auch eher wie ein kindliches Verhalten dargestellt, bereitet die folgende positive Entwicklung vor.]
[2] Nun haben aber die Sirenen eine noch schrecklichere Waffe als ihren Gesang, nämlich ihr Schweigen. Es ist zwar nicht geschehn, aber vielleicht denkbar, dassß sich jemand vor ihrem Gesange gerettet hätte, vor ihrem Verstummen gewißss nicht. Dem Gefühl aus eigener Kraft sie besiegt zu haben, der daraus folgenden alles fortreißssenden ÜÜUberhebung kann nichts Irdisches widerstehn.
[Zuvor kommt hier aber noch ein bemerkenswerter Absatz, in dem Kafka noch einmal die kriegerische Welt der antiken Helden wieder aufleben lässt mit dem Hinweis auf die schrecklichen Waffen und den Stolz auf die eigene Kraft, die zum Sieg führt und zu der alles fortreißenden Überhebung. Selbst Schweigen und die Schönheit des Gesangs werden hier zu Waffen. Es ist ein tödlicher Kampf. Wer verliert wird vernichtet, wie es ja später auch von den Sirenen heißt. Aber auch der Sieger kann diesem Schicksal nicht entgehen. Er zerstört sich selbst durch seine triumphierende Selbstüberhebung.]
[3] Und tatsächlich sangen, als Odysseus kam, diese gewaltigen Sängerinnen nicht, sei es dassß sie glaubten, diesem Gegner könne nur noch das Schweigen beikommen, sei es daßss der Anblick der Glückseligkeit im Gesicht des Odysseus, der an nichts anderes als an Wachs und Ketten dachte, sie allen Gesang vergessen liessß.
[Hier ändert sich der Ton gegenüber dem zweiten Absatz. Nur noch ein Nachklang von dessen kriegerischer Sprache ist spürbar in einigen Worten. Aber mit gewaltig ist nur der Gesang der Sirenen angesprochen und „Gegner“ und „beikommen“ beziehen sich eher auf friedliche Rivalitäten wie etwa im Sport. Damit hat sich die Haltung der Sirenen schon deutlich geändert und im Fall der zweiten Möglichkeit sind sie nur noch voller Bewunderung für die Glückseligkeit des Odysseus. Er ist wie ein Kind, das ganz versunken ist in sein Spiel und alles rundherum vergißt (wie die Sirenen ihren Gesang). Aber das erscheint hier nicht mehr als kindisch wie im erste Satz, und auch nicht als eher kindlich-naiv wie am Ende des ersten Absatzes, sondern als innere Stärke, vor der sogar die Sirenen kapitulieren.]
[4] Odysseus aber, um es so auszudrücken, hörte ihr Schweigen nicht, er glaubte, sie sängen und nur er sei behütet es zu hören, flüchtig sah er zuerst die Wendungen ihrer Hälse, das Tiefatmen, die tränenvollen Augen, den halb geöffneten Mund, glaubte aber, dies gehöre zu den Arien die ungehört um ihn erklangen. Bald aber glitt alles an seinen in die Ferne gerichteten Blicken ab, die Sirenen verschwanden ihm förmlich und gerade als er ihnen am nächsten war, wußsste er nichts mehr von ihnen.
[Damit kommen wir zum Höhepunkt der Erzählung, der Begegnung zwischen Odysseus und den Sirenen. Der erste Satz macht einen letzten Versuch, zu erklären, warum Odysseus gerettet wurde. Aber die paradoxe Aussage, dass er das Schweigen nicht hörte, scheint die Sinnlosigkeit jeder rationalen Erklärung anzudeuten. Auch das folgende „behütet“ ist unklar. Heißt es „geschützt davor, es zu hören“? Wie man das auch sieht, für Odysseus ist das ohnehin egal. Nur kurz nimmt er die Sirenen war, dann gleitet alles an seinen Blicken ab und ausgerechnet im Augenblick der größten Nähe sind sie für ihn, in seinem Bewußtsein, nicht mehr da.]
[5] Sie aber, schöner als jemals, streckten und drehten sich, liessßen das schaurige Haar offen im Wind wehn, spannten die Krallen frei auf den Felsen, sie wollten nicht mehr verführen, nur noch den Abglanz vom grossßen Augenpaar des Odysseus wollten sie solange als möglich erhaschen.
Hätten die Sirenen Bewußsstsein, sie wären damals vernichtet worden, so aber blieben sie, nur Odysseus ist ihnen entgangen.
[Auch die Sirenen sind nun wie verwandelt. Da es für sie nicht mehr um Kampf und Sieg geht, sind sie nun frei zu sein, was sie sind. So sind sie, auch mit ihrem schaurigen Haar und ihren Krallen, nun schöner als jemals. Wäre ihnen allerdings bewusst geworden, dass Odysseus sie besiegt hat, so wären sie vernichtet worden, wie es ja in der späteren griechischen Tradition auch heißt, dass sie sich nach Odysseus Weiterfahrt ins Meer stürzten und starben. Vgl. auch Kafkas Brücke, die vernichtet wird, als sie wissen will, was auf ihr vor sich geht.]
[6] Es wird übrigens noch ein Anhang hiezu überliefert. Odysseus, sagt man, war so listenreich, war ein solcher Fuchs, dassß selbst die Schicksalsgöttin nicht in sein Innerstes dringen konnte, vielleicht hat er, obwohl das mit Menschenverstand nicht mehr zu begreifen ist, wirklich gemerkt, dassß die Sirenen schwiegen und hat ihnen und den Göttern den obigen Scheinvorgang nur gewissermaßen als Schild entgegengehalten.
[Es ist nicht leicht zu erkennen, was Kafka in diesem Anhang sagen will. Es scheint, dass er hier die Möglichkeit andeutet, dass ein Mensch die beiden widersprüchlichen Möglichkeiten, die in der Erzählung dargestellt werden, in sich harmonisch vereinigen kann. Die erste ist der Odysseus der klassischen Tradition, der listenreiche, der sich auskennt, kalkuliert, überlegt und bewusst handelt. Die andere Möglichkeit wird sichtbar in Kafkas neuer Gestalt des Odysseus, die er dem klassischen entgegenstellt, ein Mensch, der in sich ruht, ganz seiner inneren Kraft vertraut und alles um ihn herum aus seinem Bewusstsein ausschalten kann. Der Scheinvorgang besteht dann darin, dass er sich verhielt wie ein Kind, das beim Spiel ganz in seiner Welt versunken ist, während er das ganz bewusst tat, um sich zu schützen.
Denkt man an den von Kafka formulierten Unterschied zwischen seiner Welt im Kopfe und seinem traumhaften inneren Leben, könnte man sagen, dass das Verhalten des Odysseus mit Menschenverstand nicht zu begreifen ist, aber vielleicht lohnt es sich, die von Kafka hier aufgezeigten Möglichkeiten des Menschseins weiter zu träumen.]

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