Japan und der Exotismus: Einführung - Was aus meinen Träumen wurde

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Japan und der Exotismus: Einführung

Auf europäischen Karten taucht Japan unter dem Namen Zipangu erstmals zu Beginn der Neuzeit auf. Es gibt dazu aber noch eine Vorgeschichte, in der sich Traum und Wirklichkeit mischen, wie so oft auch später in der Geschichte der Beziehungen zwischen Europa und Japan (s. Kapitza). Die mittelalterlichen Karten sahen die Erde als Scheibe, umgeben von einem Ozean, mit den Kontinenten Europa, Asien und Afrika, natürlich noch ohne Amerika. Die linke Karte oben zeigt dieses Schema in einfachster Form, wobei der Osten oben ist (rechts zum Vergleich die gleiche Karte genordet). Europa liegt also unten links, Afrika rechts und darüber Asien. Für die biblische Orientierung der Karte ist es wichtig, dass so Jerusalem genau im Zentrum liegt und, für unseren Zusammenhang noch wichtiger, das Paradies ganz oben im Osten. Die mittlere Karte (Mappa Mundi Hereford, 13. Jh.) ist wegen der vielen Einzelheiten sehr unübersichtlich. Ganz oben ist zu erkennen [besonders in der Vergrößerung: mit der Maus über die Karte gehen], dass das Paradies als Insel vorgestellt wird, die also östlich vor dem asiatischen Festland liegt. Als dann auch noch Marco Polo berichtete, die Chinesen wüssten von einem Inselreich Zipangu im Osten mit großen Schätzen vor allem an Gold, da richteten sich in Europa die Träume vieler vom Paradies und unermesslichen Reichtümern zunehmend auf diese sagenhafte Insel Zipangu. Für Kolumbus war das neben der Hoffnung, einen Seeweg nach Indien zu finden, ein wichtiger Antrieb zu seiner wagemutigen Fahrt über den Atlantik. Wie wichtig, das zeigt sich in seinen Tagebüchern auch daran, dass er bei seiner Ankunft in Mittelamerika geradezu fieberhaft nach der Insel Zipangu sucht und bereit ist, ähnlich klingende Namen, selbst Cuba, für das gesuchte Ziel seiner Sehnsucht zu halten.
Interessant ist nun, dass in den nächsten Jahrhunderten die Vorstellung von einer Trauminsel Japan wohl meist unterschwellig weiterlebte. Die ersten Europäer aber, die das Land besuchten und teilweise durch längere Aufenthalte kennenlernen konnten, berichteten im allgemeinen sachlich und abgewogen darüber. Das gilt neben Kaufleuten und Weltreisenden auch für viele Missionare, die seit dem 16. Jahrhundert im Lande lebten, trotz mancher Vorurteile in Bezug auf die Religion in Japan.
Besonders ausgeprägt ist diese Haltung in der Zeit der Aufklärung, wie das folgende Zitat zeigt:

Aber die größte Bemühung der Menschen ist die Kenntniß seiner selber, und dieses sind wir großentheils den Reisenden schuldig. Wir werden in einem Lande unter Bürgern erzogen, die alle den gleichen Glauben, die gleichen Sitten, und überhaupt die gleichen Meinungen haben: diese flechten sich nach und nach in unsre Sinnen ein, und werden zu einer falschen Ueberzeugung. Nichts ist fähiger diese Vorurtheile zu zerstreuen, als die Kenntniß vieler Völker, bey denen die Sitten, die Gesetze, die Meinungen verschieden sind, eine Verschiedenheit, die durch eine leichte Bemühung uns lehrt, dasjenige wegzuwerffen, worinn die Menschen uneinig sind, und das für die Stimme der Natur zu halten, worinn alle Völker mit einander übereinstimmen. (Albrecht von Haller).

Erst recht gilt diese Haltung für die Wissenschaftler, die nach der Öffnung Japans Ende des 19. Jahrhunderts ins Land gerufen wurden und die den Europäern ein vielschichtiges und zumeist abgewogenes Bild Japans vermittelten. Umso erstaunlicher ist es, dass etwa um die selbe Zeit eine Bewegung einsetzte, die ein ganz anderes Bild Japans schuf, das eher an die Trauminsel Zipangu denken ließ als an das inzwischen vielen gut bekannte wirkliche Japan. Es geht hier um eine neue kulturelle Bewegung in Europa, den Exotismus, der Japan als Projektionsfläche für seine eigenen Träume und Sehnsüchte benutzte.
Die Wurzeln des Exotismus liegen in einem Gefühl der Verunsicherung oder gar in Ängsten angesichts der fortschreitenden Technisierung und Rationalisierung des modernen Lebens, ein Gefühl, das zuerst in der Romantik spürbar wird als Versuch der Rückkehr in die Vergangenheit, insbesondere in die Zeit des Mittelalters. Dann aber richten sich die Traumvorstellungen zunehmend auf ferne exotische Länder.
Etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs die Zahl der Künstler und Intellektuellen, die sich von der europäischen Kultur abwandten oder diese zumindest immer kritischer sahen. Sie schufen sich imaginäre exotische Gegenwelten aus tatsächlichen oder nur vorgestellten Elementen fremder Kulturen, auf die sie ihre eigenen Wünsche und Träume projizierten. Nach Tahiti, Indien und China richtete sich dabei der Blick in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend auch auf Japan. Wichtige Anlässe dazu waren die Weltausstellungen von 1862 in London und 1867 in Paris und die damit einsetzende Welle des Japonismus, der allerdings vom Exotismus unterschieden werden muss, trotz mancher Gemeinsamkeiten.
Ein schönes Beispiel dafür, wie sich die „hausgemachten“ exotistischen Träume von der Wirklichkeit des betreffenden Landes unterscheiden, bietet der deutsche Dichter Max Dauthendey. Für ihn war Japan das Land seiner Sehnsuchtsträume, aber als er endlich dort war, schrieb er an seine Frau: „Wenn ich nicht Japan in der Erinnerung hätte, wie es aus der Ferne zu Hause auf mich immer so schön wirkte, könnte ich es jetzt beinah langweilig und traurig nennen.“ (1906) Es ist geradezu rührend, wie er zugeben muss, dass das Land seiner Träume nur ein Produkt seiner Fantasie war. Dabei hätte er damals wie heute in Japan viel Schönes und Wunderbares, selbst auch Geheimnisvolles und Phantastisches entdecken können, wenn er sich etwas mehr mit dem wirklichen Japan befasst hätte, wie es viele seiner Landsleute damals schon getan haben.
Wenn der Exotismus nur eine Kuriosität der Kulturgeschichte wäre, brauchte man sich heute nicht unbedingt damit zu beschäftigen. Aber leider ist sein Einfluss immer noch spürbar in vielen falschen und nur in der Phantasie existierenden Vorstellungen über Japan wie sie in den Medien, in Literatur und Kunst verbreitet werden. Ja, der Einfluss des Exotismus reicht bis in die Bilder und Vorstellungen, die man sich in Japan zeitweise von der eigenen Kultur gemacht hat.
Parallel zu den exotistischen Tendenzen in Europa begannen nämlich viele Menschen in Japan, in der Auseinandersetzung mit westlichen Kulturen, sich mit Fragen der eigenen Identität zu beschäftigen. Diese Diskussion erreichte einen Höhepunkt mit dem Erscheinen zahlreicher Publikationen seit dem Ende der sechziger Jahre, die meist unter dem Begriff Nihonjinron zusammengefasst werden. Erstaunlich ist dabei, dass in diesen „Diskursen über die Japaner“ viele Vorstellungen und Stereotypen des europäischen Exotismus auftauchen, auch solche, die mit der japanischen Wirklichkeit nichts zu tun haben. Menschen in Japan bestimmen also ihre eigene Kultur und Gesellschaft teilweise über Vorstellungen, die von Europäern als Gegenbild zur europäischen Kultur entworfen oder erträumt wurden.
Es scheint, dass europäische Sehnsüchte und japanische Interessen - von emotionalen und ideologischen bis hin zu konkreten wirtschaftlichen und politischen - sich hier gegenseitig bestätigen und so verstärken, dass ein kritischer Rückbezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten schwierig wird. Das erklärt manche extreme Tendenzen und Positionen in den „Nihonjinron“ und die unkritische Art, in der diese oft immer noch auch außerhalb Japans übernommen werden.



ausführlicher dazu (deutsch/englisch)
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