Kafka lesen: Heimkehr - Was aus meinen Träumen wurde

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Kafka lesen: Heimkehr (1923)
[Der Titel wurde posthum bei der Veröffentlichung hinzugefügt. Er ist ungeeignet, denn es fällt auf, dass in Kafkas Text gerade dieses Wort vermieden wird. Das erinnert an Thomas Manns Tonio Kröger (1903), wo der Protagonist zunächst auch umständlich darum herum redet, dass er seine Heimatstadt besuchen will, und so versucht, die mit dem Wort „Heimat verbundenen Gefühle zu unterdrücken.]
[Franz Kafka: Nachgelassene Schriften und Fragmente II, S. 572f (1920)] [siehe]
Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um.
[Dass es sich hier um eine Heimkehr handeln könnte, lassen die ersten emotionslos-nüchternen Worte nicht vermuten, zumal zunächst auch nicht gesagt wird, wohin die Rückkehr erfolgt. Der Rest des Satzes lässt eher an jemand denken, der auf feindlichem Gelände vordringt und sich dann umsieht, um sich zu orientieren.]

Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes unbrauchbares Gerät in einander verfahren verstellt den Weg zur Bodentreppe.
[Dann wird das Ziel der Rückkehr genannt. aber nicht etwa als unser Hof' oder wenigstens mein Vaterhaus', wie man erwarten könnte. In Verbindung mit diesen emotional positiv besetzten Wendungen würde auch das alter positiv klingen im Sinne von vertraut': unser (guter) alter Hof'. So klingt es eher negativ, als eine Vergangenheit, die mit dem Vater assoziiert wird und nur diesen zu betreffen scheint. Zu diesem negativen Eindruck passt auch die Pfütze und das alte(s) unbrauchbare(s) Gerät ineinander verfahren“, das den Weg verstellt. Aber man darf auch nicht vergessen, dass beides zu einem Bauernhof gehört und so bei einem Bauernsohn heimatliche Gefühle wecken sollte, besonders in der Erinnerung an Kindertage, wo er sicher mit Begeisterung in der Pfütze gespielt oder sich auf dem Boden versteckt hat. Dass der Weg zur Bodentreppe verstellt ist, kann eigentlich nur im Hinblick auf solche Kindheitserinnerungen relevant sein, während der erwachsene Sohn ja bereits vor der Küchentür steht. Die Aneinanderreihung der negativen Begriffe hier scheint daher eher seine innere Situation zu reflektieren, einschließlich des Bestrebens, andere positive Erinnerungen gar nicht erst aufkommen zu lassen.]

Die Katze lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch einmal im Spiel um eine Stange gewunden hebt sich im Wind.
[Ähnliches gilt auch für die nächsten beiden Sätze. Die Katze kauert vielleicht einfach nur auf dem Geländer. Aber für ihn lauert sie und scheint so Teil einer ihm fremden oder gar feindlichen Umwelt. Jedenfalls gibt sie kein Zeichen, dass sie ihn willkommen heißt. Dass er im Grunde ein Willkommenszeichen erwartet, könnte das Tuch andeuten, das sich im Winde hebt. Aber es ist kein Tuch, das geschwenkt wird, um ihn willkommen zu heißen, zerrissen überdies. Immerhin wird hier mit dem Wort „Spiel“ direkt Bezug genommen auf die Kinderzeit, vielleicht sogar eine konkrete Erinnerung, aber die unbestimmte Formulierung vermeidet jeden Bezug auf konkrete Personen.]

Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche?
[Noch einmal, stellt er  nüchtern fest, dass er am Ziel ist, wieder benennt er dieses nicht und spricht nur von angekommen. Dann aber kann er es nicht vermeiden, an die Personen zu denken, die er dort treffen wird, wobei das „empfangen“ den Eindruck erweckt, dass es sich nicht um persönliche Beziehungen handelt. Noch immer zögert er. Wer froh ist, wieder zuhause zu sein, fragt sich nicht, wer hinter der Tür der Küche ist, sondern öffnet diese einfach. So wie der Satz formuliert ist, hat man das Gefühl, dass er sich vielleicht sogar fürchtet vor dem, was hinter der Tür auf ihn wartet.]

Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee zum Abendessen wird gekocht. Ist Dir heimlich, fühlst Du Dich zuhause?
[Hier haben wir nun die größte emotionale Annäherung an die in der Küche vermuteten Angehörigen und die familiäre Atmosphäre dort.. Der erste Satz evoziert eine typische Situation, in der man es besonders genießt nach Hause zurückzukehren, etwa am Abend nach der Arbeit auf den Feldern oder nach einer Reise. Hier tauchen auch erstmals die Wörter heimlich und sich zuhause fühlen auf, die dieses Gefühl beschreiben. Kafka benutzt dabei heimlich, wie in seinem Umfeld, im Sinne von heimelig, aber auch die andere Bedeutung schwingt mit und wird am Ende zweimal mit dem Wort Geheimnis aufgenommen. Dass er sich fragt, ob dieses Gefühl da ist, zeigt, dass er es offenbar nicht spontan empfindet, es aber wohl vermisst. Es könnte auch der Versuch sein, ein aufkommendes Gefühl dieser Art durch das Infragestellen zu unterdrücken. Die Fragen zeigen, dass er die bisher unterschwellig vorhandene Gefühlsebene verlässt und versucht, die Situation rational-kritisch zu analysieren.]

Ich weiss es nicht, ich bin sehr unsicher.
[Das beginnt mit dem Eingeständnis seines Nichtwissens. Die Unsicherheit, die bisher schon deutlich  spürbar war, wird hier nun kurz und prägnant direkt angesprochen und sogar durch sehr verstärkt.]
Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn.
[Hier bildet der Bezug auf den Vater den Rahmen für die nächsten beiden Sätze. Dabei an Kafkas Vater zu denken, ist wenig hilfreich, wie so oft wenn biographische Daten Kafkas für die Interpretation hinzugezogen werden. Nichts ist hier zu spüren von dem äußerst komplexen Verhältnis Kafkas zu seinem Vater. So wie es hier dargestellt wird, erscheint der Vater sozusagen nur in seiner Funktion als Teil der Familiengeschichte, besonders am Ende wo von dem alten Landwirt die Rede ist, eher wie jemand, den man nur noch von alten Familienfotos kennt. Von einer gefühlsmäßigen Bindung spürt man nichts. Dazu passt auch das „kalt am Anfang und die darauf folgenden Beschreibungen, wo die sich aus der Vater-Sohn-Beziehung normalerweise ergebenden emotionalen Beziehungen zur Familie und zu der vertrauten Umgebung gänzlich fehlen, aber offenbar vermisst werden, wie das aber am Anfang und besonders das sei es auch“ am Ende der Beschreibung zeigen. Die menschlichen Beziehungen sind so „kalt, dass sie geradezu verdinglicht erscheinen (vgl. das Zitat am Ende), wozu auch das „Was kann ich ihnen nützen passt. Auch Selbstvorwürfe kann man heraushören. Immerhin wird mit der Frage „was bin ich ihnen angedeutet, dass Menschen einander etwas bedeuten können und sollten.]
Und ich wage nicht an der Küchentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horche ich stehend, nicht so dass ich als Horcher überrascht werden könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören herüber aus den Kindertagen.
[In dieser Situation wagt er es nicht einmal, an der Küchentür zu klopfen. Wie weit er innerlich schon entfernt ist, wird durch das dreifache von der Ferne deutlich gemacht und dadurch, dass er wie ein Fremder horcht, stehend, jederzeit bereit zur Flucht. Noch verbindet ihn wohl einiges mit den Kindertagen, aber nur wie ein leichter Uhrenschlag, bei dem man nicht sicher ist, ihn wirklich gehört zu haben.]

Was sonst in der Küche geschieht ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren.
[Hier zeigt sich die andere Bedeutung, die sich mit dem Wort Heim(at)' verbindet.
Neben heimelig' gehört dazu auch geheim' und Geheimnis', mit andern Worten das Phänomen der Abgrenzung, Abschottung und der Eigeninteressen.]

Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer der sein Geheimnis wahren will.
[Jetzt hat er sich so weit von seinen persönlichen Gefühlen entfernt, dass er seine Erfahrung hier als eine allgemeine menschliche Erfahrung formulieren kann. Auch wenn in dem Wie wäre es wenn noch einmal so etwas wie eine unbestimmte Hoffnung aufzukeimen scheint, der Rest des Satzes zeigt, dass es um eine ganz nüchterne Überlegung geht im Sinne von: Was wäre wenn. Und dass jemand kommt und ihn etwas fragt hat nun gar nichts mehr zu tun mit einer in seiner Situation eigentlich zu erwartenden emotionalen Begegnung mit der Familie. Der letzte Satz zeigt dann, worum es ihm die ganze Zeit vor allem geht: die Wahrung des Eigenen gegenüber den (emotionalen) Ansprüchen der Familie, der Gemeinschaft.
Das Verhältnis von Einzelnem und Gemeinschaft hat Kafka lebenslang beschäftigt. Noch in seinem letzten Werk, Josefine..., ist es ein zentrales Thema. In Zusammenhang mit unserem Text sind besonders die folgenden Zitate aus seinen Tagebüchern aufschlußreich. Am 29. Oktober 1921 schreibt er, dass er sich nach vielen Ablehnungen doch einmal am abendlichen Kartenspiel der Familie beteiligt habe und sagt dann:

Es ergab sich aber kein Nähersein [...] So wäre es immer gewesen. Dieses Grenzland zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft habe ich nur äußerst selten überschritten, ich habe mich darin sogar mehr angesiedelt als in der Einsamkeit selbst. Was für ein lebendiges schönes Land war im Vergleich hiezu Robinsons Insel.
[...]
Was verbindet Dich mit diesen festabgegrenzten, sprechenden, augenblitzenden Körpern enger als mit irgendeiner Sache, etwa dem Federhalter in Deiner Hand? Etwa daß Du von ihrer Art bist? Aber Du bist nicht von ihrer Art, darum hast Du ja diese Frage aufgeworfen.
Die feste Abgegrenztheit der menschlichen Körper ist schauerlich
[Nachgelassene Schriften und Fragmente II: S. 871f.]
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