Kafka lesen: Eine kaiserliche Botschaft - Was aus meinen Träumen wurde

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Kafka lesen: Eine kaiserliche Botschaft (1917)
[Dieses Prosastück war ursprünglich Teil eines längeren Textes, der posthum veröffentlicht wurde unter dem Titel Beim Bau der Chinesischen Mauer. Der Bezug auf China ist auch in unserem Stück erkennbar. Dass Kafka es aus dem größeren Zusammenhang genommen und ihm einen eigenen Titel gegeben hat, deutet an, dass es hier um ein eigenes Thema geht. Zudem hat Kafka den Text offenbar so geschätzt, dass er ihn noch im selben Jahr separat veröffentlichte. Da das Stück kurz nach der Galerie und der Brücke entstand, ist ein Zusammenhang mit deren Thematik gut denkbar und das soll hier als Ansatzpunkt für die Interpretation genutzt werden. Es könnte also auch in unserem Stück um Kafkas Welt im Kopfe und sein traumhaftes inneres Leben gehen und um die gegensätzlichen Haltungen und ihre Konsequenzen, wie sie in Auf der Galerie beschrieben werden.]
[Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten, Ein Landarzt, S. 280-282 (1917/20)]  [siehe]
Der Kaiser — so heisst es — hat Dir, dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen, dem winzig vor der kaiserlichen Sonne in die fernste Ferne geflüchteten Schatten, gerade Dir hat der Kaiser von seinem Sterbebett aus eine Botschaft gesendet.
[Um den Text richtig einzuordnen, ist das Verständnis des so heißt es wichtig. Im ursprünglichen Zusammenhang bezieht es sich auf den Inhalt einer Sage. Ohne diesen Zusammenhang drückt es deutlich aus, dass es sich im Folgenden nicht um Fakten oder tatsächliche Ereignisse handelt, sondern um Hörensagen in der Spannweite von glaubhaften Nachrichten bis hin zu reinen Phantasiegeschichten. Die als Du angesprochene einzelne Person muss nicht, wie in der Sage, als einzelne allgemein verstanden werden, sonder es liegt näher, an eine bestimmte einzelne Person zu denken, die dann am Ende ja auch ganz deutlich als handelndes Subjekt auftritt. Ein Du also, das sich vorstellt, der ferne Kaiser habe ausgerechnet ihm eine Botschaft hinterlassen. Der Text kann dann auch die Reaktion dieses Du wiedergeben.
Zunächst wird alles ganz im Stile einer Sage oder eines Märchens vorgestellt mit poetischen Umschreibungen und Überhöhungen, die den gewaltigen Abstand zwischen Kaiser und Einzelnem und das Unglaubliche des Vorgangs sichtbar machen.]

Den Boten hat er beim Bett niederknieen lassen und ihm die Botschaft ins Ohr zugeflüstert; so sehr war ihm an ihr gelegen, daß er sich sie noch ins Ohr wiedersagen liess. Durch Kopfnicken hat er die Richtigkeit des Gesagten bestätigt.
[Doch dann wird die Beschreibung geradezu nüchtern-realistisch. Man hat den Eindruck, dass die Bedenken des Du angesichts der Unglaublichkeit des Vorgangs sich hier ausdrücken in dem Versuch, sich in allen Einzelheiten vorzustellen, wie das tatsächlich geschehen könnte. Das Niederknieen des Boten scheint auf die dem Kaiser geschuldete Unterwürfigkeit hinzudeuten, aber der folgende Kontext zeigt, dass es wohl durch die Schwäche des Kaisers bedingt ist, die hier gerade durch die detaillierte Beschreibung des ganzen Vorgangs deutlich wird.]

Und vor der ganzen Zuschauerschaft seines Todes — alle hindernden Wände werden niedergebrochen und auf den weit und hoch sich schwingenden Freitreppen stehen im Ring die Grossen des Reichs — vor allen diesen hat er den Boten abgefertigt.
[An diesem Punkt aber, wo Zweifel an der Macht des Kaisers aufkommen könnten, folgt ein Einschub wie er vielleicht nur Kafka gelingen kann. Plötzlich weitet sich der Blick und mit einem Schlag wird die ganze Macht und Größe des Kaiserreiches sichtbar. Geradezu kongenial dazu gibt es eine Szene in dem Film Der Letzte Kaiser, wo der gerade zum Kaiser ernannte erst Zweijährige sich zunächst auf seinem Thron rekelt, wie eben ein Baby, und dann herabklettert und vor den Palast läuft, wo sich plötzlich der Blick weitet auf die dort in langen Reihen angetretenen Großen des Reichs, die ihm huldigen.
Bei Kafka wird aber auch in dieser Szene der Tod des Kaisers angesprochen und so hat man das Gefühl, dass die Schwäche des Kaisers verdeckt werden soll, wenn forsch davon gesprochen wird, er habe den Boten abgefertigt, was in der vorhergehenden Szene doch etwas anders aussah.]

Der Bote hat sich gleich auf den Weg gemacht; ein kräftiger, ein unermüdlicher Mann; einmal diesen, einmal den andern Arm vorstreckend schafft er sich Bahn durch die Menge; findet er Widerstand, zeigt er auf die Brust, wo das Zeichen der Sonne ist; er kommt auch leicht vorwärts, wie kein anderer.
[So ruht die ganze Hoffnung nun auf dem Boten, was sich auch daran zeigt, dass offenbar jede Einzelheit wichtig ist: seine körperliche Konstitution, die Bewegung seiner Arme, die kaiserliche Sonne auf seiner Brust. Lässt man sich tragen von der Bewegung des Satzes, so kann man den Optimismus am Ende nachempfinden. (Vgl. Auf der Galerie) Der kritische Blick aber kann die Erwähnung der Menge und des Widerstands nicht übersehen, und auch nicht, dass das leicht vorwärts am Ende durch wie kein anderer streng genommen doch erheblich relativiert wird.]

Aber die Menge ist so gross;  ihre Wohnstätten nehmen kein Ende. Offnete sich freies Feld, wie würde  er fliegen und bald wohl hörtest Du das herrliche Schlagen seiner Fäuste  an Deiner Tür.
[Hier nun beginnt, typisch für die Welt im Kopfe, die Gegenbewegung, eingeleitet durch Aber (wie auch im nächsten Satz). Was sich vorher nur  unterschwellig als Befürchtung äußerte, wird jetzt offen ausgesprochen. Die Lage scheint plötzlich so hoffnungslos, dass das reflektierende Bewusstsein in Wunschvorstellungen flieht, die eher zu Kafkas traumhaftem innerm Leben“ gehören. Das „fliegen kann man als Metapher für eine sehr schnelle Bewegung verstehen, aber in Verbindung mit der Vorstellung, dass der Bote das Du „bald“ in seiner „fernsten Ferne“ erreichen würde, ist das wohl eher eine Traumvorstellung, wozu auch das „herrliche Schlagen“ passt. Andererseits gehören die „Fäuste“ kaum in einen Wunsch-, eher in einen Angsttraum. Die Verwirrung des Du ist offenbar und so schlägt der mühsam aufrechterhaltene Optimismus um in Pessimismus. Das zeigt sich auch daran, dass der Bote im Folgenden in Raum und Zeit zurückgeworfen wird. Immer noch ist er im innersten Palast, wo doch zuvor schon von den Wohnstätten der Menge die Rede war]

Aber statt dessen, wie nutzlos müht er sich ab; immer noch zwängt er sich durch die Gemächer des innersten Palastes; niemals wird er sie überwinden; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Treppen hinab müsste er sich kämpfen; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Höfe wären zu durchmessen; und nach den Höfen der zweite umschliessende Palast; und wieder Treppen und Höfe; und wieder ein Palast; und so weiter durch Jahrtausende; und  stürzte er endlich aus dem äussersten Tor — aber niemals, niemals kann  es geschehen  — liegt erst die Residenzstadt vor ihm, die Mitte der  Welt, hochgeschüttet voll ihres Bodensatzes. Niemand dringt hier durch  und gar mit der Botschaft eines Toten.
[Dieser lange Satz zeigt, wie sehr die Beschreibung trotz der vielen detaillierten Angaben von Emotionen getragen ist, die hier schon geradezu an Verzweifelung grenzen. Das zeigt sich an der langen Folge negativer Ausdrücke, die sich bis zu dem emphatischen niemals, niemals steigern. Auch Übertreibungen gehören dazu, wie dass der Bote sich durch die vermutlich doch weiträumigen Gemächer „zwängt“ und sich die sicherlich breiten Treppen hinab kämpft“. Ganz irrational wird es, wenn von „durch Jahrtausende“ gesprochen wird, ähnlich wie in der theoretischen Überlegung im ersten Teil von Auf der Galerie, die in „die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft“ mündet. So endet alles mit dem resignierten Blick auf die Residenzstadt, durch die „niemand durch dringt“ und auf eine Botschaft, die nur noch die „eines Toten“ ist.]

— Du aber sitzt an Deinem Fenster und erträumst sie Dir, wenn der Abend kommt.
[Durch den Bindestrich und das „aber deutlich abgesetzt greift das Du hier direkt in die Handlung ein, kurz und bestimmt. Es überrascht, wie souverän das Du die ganze Welt im Kopfe einfach beiseite wischt und sich in die Welt seiner Träume zurückzieht. Es fällt nicht schwer, dabei an Kafka zu denken, wie er sich damals jeden Abend in die Abgeschiedenheit des Alchimistengässchens zurückzog und dort am Fenster seines Häuschens saß. Wie in Die Brücke (wohl das erste Werk, das im Alchimistengässchen entstand) ist es auch hier die Abendstimmung, die zum Träumen anregt, dort noch romantisch verstärkt durch das „Abend im Sommer, dunkler rauschte der Bach.]
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